Amazons "Fallout"-Serie trifft trotz Schwierigkeiten den richtigen Ton

Verrückte Charaktere, eine kaputte Welt und eine Prise Gesellschaftskritik machen die Serie mit Ella Purnell und Walton Goggins sehenswert.​

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Szene aus Amazons "Fallout"-Serie

Die Hauptfiguren in "Fallout" laufen sich ständig zufällig über den Weg. Das lässt die Welt kleiner erscheinen, als sie ist.

(Bild: Amazon)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Amazons "Fallout"-Serie ist Hollywoods erster Versuch, die Welt der beliebten Rollenspiele getreu der Videospielvorlage von Bethesda auf die Leinwand zu bringen. Das gelingt im Großen und Ganzen ziemlich gut – vor allem, wenn man bedenkt, wie schlecht eigentlich fast ausnahmslos alle Videospiel-Verfilmungen der Vergangenheit waren. Schon die ersten vier Folgen der Serie haben uns gut gefallen und die zweite Hälfte schließt sich da nahtlos an. Auf die letzten Meter wird das Ganze auf überraschend mutige Art auch noch ein bisschen philosophisch. Aber die Serie hat auch einige handfeste Probleme.

Der folgende Text verrät wichtige Story-Details zu allen acht Folgen von Amazons "Fallout"-Serie.

Die Umsetzung von "Fallout" fürs Fernsehen krankt vor allem an zwei Dingen: Gelegentliche Plot-Schwächen und eine Inszenierung, die sich manchmal einfach nicht plausibel genug anfühlt. Der erste Punkt überrascht nicht angesichts bisheriger moderner Hollywood-Serien, die auf Buch-, Videospiel- oder alten Serien-Vorlagen beruhen. Von "Star Trek" über "Star Wars", "Dungeons & Dragons" und "Marvel" bis hin zu "Super Mario" machen Drehbuchschreiber in Hollywood mittlerweile seit Jahrzehnten immer denselben Fehler: Sie streuen kleine Nostalgie-Schnipsel für die Fans des Original-Materials in ihre Skripte (manche Fans nennen so etwas in Anspielung an eine legendäre "South Park"-Folge dann "Member Berries") und vergessen diese prompt wieder. Oder schaffen dadurch Handlungsstränge, die komplett unplausibel sind. Somit werden Anknüpfungspunkte an "die gute alte Zeit" der Vorlage geschaffen, die aber dann oft ins Leere laufen und den Plot des neuen Materials durcheinanderbringen.

Ein gutes Beispiel aus "Fallout" ist eine Szene nach dem Angriff der Raider auf den Vault von Lucy. Ein Techniker taucht auf und hält eine Requisite in den Händen, die jeder Hardcore-"Fallout"-Fan wahrscheinlich sofort erkannt hat: Das ist der Water Chip aus dem allerersten "Fallout"-Spiel. Seinetwegen begann das ganze Abenteuer damals doch erst! Richtig. Eine nette Anspielung. Der Water Chip ist kaputt und wir werden alle verdursten – was im allerersten "Fallout"-Spiel von 1997 noch eine lebensbedrohliche Situation und ein integraler Teil der Story war, wird hier kurz als Insiderwitz eingestreut und dann nie wieder aufgegriffen. Eine vergebene Chance kolossalen Ausmaßes. Anstatt hier eine Geschichte zu erzählen – kleine Neben-Geschichten erzählen ist ja das, was die "Fallout"-Spiele am besten konnten – wird die Idee lieber für einen billigen Rausch von Nostalgie-Endorphinen beim Zuschauer verballert.

Es ist schade, dass Drehbuchschreiber, die schon nichts Eigenes erschaffen können und sich an Buch-, Film- und Spiele-Vorlagen aus vergangenen Jahrzehnten bedienen müssen, nicht wenigstens dann auch diesem Material den Respekt zollen, den es gebührt. Sie behandeln solche Momente als Rechtfertigung ihrer Remakes und Reboots, anstatt die Chance zu ergreifen, damit etwas Neues zu wagen.

Wer wissen will, wie man sich als Fernsehproduzent fremdes Material zu eigen macht und dann etwas wunderbares Neues erschafft, sollte sich die ersten Staffeln von Ronald D. Moores "Battlestar Galactica" noch mal ansehen. Ein anderer, aber ebenso erfolgreicher Ansatz zeigt sich in "Blade Runner" und den "Dune"-Filmen von Denis Villeneuve, der zeigt, wie man auch ohne revolutionäre Änderungen einen von den Fans geliebten Stoff auf liebevolle Weise neu präsentieren kann. Aber gut, etwas derart künstlerisch wertvolles hatten wir von "Fallout" ehrlich gesagt auch nicht erwartet.

Was uns bei der Amazon-Umsetzung von "Fallout" aber noch viel mehr gestört hat, sind die Kulissen und der merkwürdige Mangel an Nebendarstellern. Das Zusammenspiel aus Studioaufbauten, die aussehen wie Freizeitpark-Attraktionen, Greenscreen-Umgebungen und echten, majestätischen Landschaften, wie die ehemals deutschen Geisterstadt Kolmanskop in Namibia, wirkt manchmal desorientierend auf den Zuschauer. Man hat Schwierigkeiten zu glauben, dass alle Szenen in der gleichen Welt spielen, weil sich verschiedene Orte mitunter komplett anders anmuten.

Die Kulisse in der Szene, in der Titus und Maximus auf den Yao Guai treffen, wirkt schon fast wie eine Parodie, so offensichtlich wurden hier übertrieben-bemalte Atommüll-Fässer-Attrappen in eine offensichtlich real existierende Höhle verfrachtet. Jede noch so abseitige Side-Quest-Location in "Fallout 3" wirkt, trotz der matschig-braunen Lo-Fi-Texturen, auch heute noch deutlich überzeugender. In den Videospiele-Klassikern wurde, trotz vieler technischer Beschränkungen, immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass alle Details einer Szene stimmig sind und ein Bühnenbild ergeben, das auch ohne Figuren schon die eine oder andere Geschichte erzählt. Die Amazon-Serie versucht das zwar auch ein oder zwei Mal, scheitert aber immer wieder.

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Auch wirken die Orte, an denen der Großteil der Serie spielt, merkwürdig entvölkert. Es scheint erst mal unsinnig, so etwas über die Welt von "Fallout" zu sagen, in der ja schließlich der Großteil der Bevölkerung durch einen globalen Atomkrieg dahingerafft wurde. Aber trotzdem glänzen die Spiele immer wieder durch strategisch platzierte Nebenfiguren. Die geschickte Anordnung von Nebenfiguren, kultigen Gegnern und den kleinen Geschichten, die sich aus deren Side Quests ergeben, führt in allen "Fallout"-Spielen dazu, dass die Spiele-Welt viel, viel größer wirkt. Amazons "Fallout"-Serie erzeugt genau den gegenteiligen Eindruck. Irgendwie kann man sich der Vermutung nicht entziehen, dass die Orte, die Lucy (Ella Purnell) auf ihrer Reise durch das Zauberland von Oz durchquert, eigens für sie erschaffen wurden. Außerdem fühlt es sich fast so an, als wäre außer Lucy, Maximus und dem Ghoul dort sonst niemand unterwegs – so oft, wie sich die zentralen Figuren der Serie gegenseitig über den Weg laufen.

Am Ende der Serie setzt Lucys Vater dem Ganzen noch die Krone auf, als er mal eben von einer Szene zur nächsten die knapp 440 Kilometer vom Griffith Obervatory in LA zum Strip in Las Vegas zu Fuß zurücklegt. Gut, er hat T-60 Power Armour an, aber in einem "Fallout"-Spiel würde ihm auf dem Weg mehrere Male der Strom ausgehen. Von dem Stress mit Super Mutants und Deathclaws mal ganz abgesehen. Und da er keinen Helm aufhat, wäre die Strahlung auch ein Problem. Auch wenn man das alles außer Acht lässt, wirkt auch diese Szene wieder so, als wurde hier versucht, noch mal schnell ""Fallout": New Vegas" zu name-droppen, ohne dass irgendwer im Produktions-Team hinterfragt hat, ob das an diesem Punkt der Geschichte Sinn ergibt und nicht vielleicht die eh schon strapazierte Vorstellungskraft des Gelegenheitszuschauers zu sehr auf die Probe stellt.

Das gilt übrigens nicht für die Szenen, die in einem der Vaults spielen. Hier haben die Bühnenbildner ganze Arbeit geleistet und genau den Ton der Videospiele getroffen. Und da die Vaults auch in den Spielen komplett übertrieben sind, macht es hier auch nichts, dass die Produzenten ihre Fantasie voll ausgelebt haben.

Und auch trotz der zuerst angesprochenen Abstriche hat uns die Serie im Großen und Ganzen viel Spaß gemacht. Sie schafft es, über weite Strecken eben doch, der Welt aus den Videospielen gerecht zu werden. Hauptsächlich, weil sie thematisch meist den richtigen Ton trifft. Vom gewalttätigen Slapstick-Humor, der auch einem Tarantino-Film entstammen könnte, bis hin zur Musik und den einzelnen Haupt-Charakteren haben die Serien-Macher hier viel richtig gemacht.

Vor allem Ella Purnell und Walton Goggins tragen die Handlung über weite Strecken mit ihren schauspielerischen Leistungen. Und da viele ihrer Dialoge auch genauso aus einem "Fallout"-Videospiel stammen könnten, und an manchen Stellen sogar auch wirklich witzig sind, bringen sie uns dazu, über Schwächen im Bühnenbild und bei der Logik mancher Handlungsstränge hinwegzusehen.

Wo "Fallout" allerdings wirklich glänzt und sich von anderen uninspirierten Umsetzungen von Buch- oder Spielevorlagen absetzt, ist die politische Komponente der Serie. Die ist, zugegebenermaßen, nur ein Nebenaspekt, trifft den Zeitgeist aber bemerkenswert präzise. Hier hatte jemand wirklich Rückgrat.

In der zweiten Hälfte der Serie sehen wir durch die Augen des Ghouls (Walton Goggins) nämlich, wie es im Jahr 2077 der Parallelwelt von "Fallout" zum weltvernichtenden thermonuklearen Krieg zwischen den USA und China kommt (der am Ende übrigens nur knapp zwei Stunden dauerte). Wir sind Zeuge eines Meetings, in dem Vault-Tec – die Firma, die die Atomschutzbunker, aus denen traditionell die "Fallout"-Helden kommen, geplant und gebaut hat – mit den größten Rüstungs- und Regierungs-Konzernen der USA über die Zukunft des Landes und der Welt berät.

Hier führt die Serie einen Handlungsstrang ein, der im "Fallout"-Universum bisher nur angedeutet wurde. Nämlich, dass Vault-Tec und andere mächtige Unternehmen den fatalen Atomkrieg absichtlich ausgelöst haben, um danach vom Wiederaufbau einer neuen, ihrer Meinung nach besseren, Welt zu profitieren. Die Idee: Durch eine Vernichtung aller Regierungen und der bestehenden sozialen Ordnung einen Hyperkapitalismus herbeizuführen, der selbst den ohnehin schon sehr ausgeprägten Turbokapitalismus in der parallelen Zukunft des "Fallout"-Universums noch in den Schatten stellt.

Und nun leben wir in einer Zeit, in der die Gefahr eines Atomkriegs so präsent ist wie seit fünfzig Jahren nicht mehr. Da kommt dieser Wink mit dem "Fallout"-Zaunpfahl gerade rechtzeitig. Wir sollten alles daran setzen, dass wir niemals in Wirklichkeit Whisky trinkend auf der Terrasse unseres Hauses stehen und den Atompilzen in der Ferne zuprosten, während aus der Anlage "I Don't Want to Set the World on Fire" von den Ink Spots ertönt. Wer sich bis zum vielleicht unvermeidbaren Ende der Welt allerdings die Zeit mit etwas schwarzem Humor und ein paar exzentrisch-verrückten Figuren vertreiben will, der kann schlechtere Entscheidungen treffen, als sich die neue "Fallout"-Serie anzuschauen. Die acht Folgen, exklusiv bei Amazon Prime Video zu sehen, machen Lust auf mehr.

(dahe)