Bremsenrubbeln: Darum passiert es

Eine rubbelnde Bremse nervt nicht nur, sondern vermindert obendrein die Sicherheit und erhöht den Verschleiß. Wir beleuchten Ursachen und Lösungen.

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Bremsscheibe

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

In meiner mittlerweile recht langen Zeit als Fahrzeugtester habe ich eine Menge rubbelnder Bremsen an Testmaschinen erlebt – aus den unterschiedlichsten Gründen. Da ich gerade wieder ein hartnäckiges Bremsenrubbeln an meinem eigenen Motorrad in die Enge treibe, berichte ich zudem von Lösungen aus der Praxis. Bremsenrubbeln hat immer den gleichen Effekt: Die Bremswirkung der Beläge ändert sich über den Scheibenverlauf, was zu spürbaren Vibrationen in Lenker/Lenkrad und im Restfahrzeug führt. Die Ursachen hierfür sind recht unterschiedlich.

Die bei mir und wahrscheinlich generell häufigste Ursache liegt in der obersten Schicht der Scheibe. Dort kann sich ein unterschiedlicher Reibwert bilden, wenn zum Beispiel die Beläge an der Scheibe stark festrosten (je nach Materialpaarung Scheibe-Beläge). Beim Auto gab es so etwas früher zudem häufiger bei organischen Belägen beim Einbremsen: Die Beläge werden heiß, man kommt beim Einbremsen (oft ungewollt durch Verkehrsfluss) zum Stehen, und die Beläge pappen einmal an. Der Ursprung für ein Rubbeln kann dann bereits gelegt sein. Es kann jedoch auch durch trockene Verschmutzungen oder komplexes Zusammenwirken mehrerer Faktoren passieren. Typisch für Probleme auf der obersten Schicht ist, dass das Rubbeln verstärkt (oder überhaupt erst bemerkbar) wird, wenn die Bremse auf Betriebstemperatur kommt ("Heißrubbeln").

In solchen Fällen würde man denken: "Haja, das bremst sich ja wieder weg.", weil das bei normalem Flugrost üblicherweise der Fall ist. Die Rubbel-Stellen jedoch verändern lokal den Materialübergang Belag-Scheibe, sodass sich der unterschiedliche Reibwert dauerhaft perpetuiert. Es gibt hier nur eine Abhilfe: Die oberste Schicht muss runter. Ich habe schon häufiger gelesen, dass Leute mit Schleifpapier diese Stellen ausschleifen. Die Reibwertsprungstellen sind bei Flugrost meistens deutlich erkennbar am Belagabdruck. So ein Abschleifen hat bei mir noch nie geklappt. Sie müssen da auch etwas vorsichtig sein, damit Sie nicht so viel Material abnehmen, dass Sie damit den Grundstein für ein späteres Rubbeln aus Materialungleichheit legen.

Flugrost mit deutlich erkennbarem Belag-Knutschfleck. In diesem Fall bremste sich das wieder weg. So etwas kann aber durchaus zu dauerhaftem Rubbeln führen.

(Bild: Clemens Gleich)

Bei mir half bei so etwas nur Bremsscheibe abdrehen (Auto) oder neu parallel einschleifen (Motorrad). Damit sich das gegenüber neuen Scheiben lohnt, müssen die Bremsscheiben entsprechend teuer sein. Bei 0815-Alltagsautoscheiben sind meistens neue Scheiben billiger. Abdrehen kostet 40 bis 90 Euro pro Scheibe. Beim Motorrad kostet parallelschleifen je nach Anbieter 100 bis 200 Euro pro Scheibe. Neue Scheiben kosten 160 bis 270 Euro pro Scheibe, sodass es hier ähnlich wie beim Auto aussieht: lohnt sich eher für die teuren Sport-Bremsanlagen. Voraussetzung ist natürlich eine ausreichende Mindestdicke, die nach dem Materialabtrag noch stimmt. Kohlefaser-Keramik-Bremsscheiben (CMC) sind gegen die meisten solchen Oberflächenursachen immun.

Eine perfidere Variante kennen viele KTM-Kunden: Jede neue Bremsscheibe rubbelt nach einigen tausend Kilometern immer wieder, und zwar auch schon kalt ("Kaltrubbeln"). Der Grund hierfür ist ein leichter Seitenschlag der Radaufhängung, der im KTM-Werk Mattighofen beim Umspannen der Felgen zur Radlageraufnahmen-Einfräsung gern passiert. Er ist im normalen Fahrbetrieb (anders als ein starker Seitenschlag) nicht bemerkbar, lässt aber die Scheibe ungleichmäßig abnutzen. Nach entsprechender Zeit wird sie ungleichmäßig dick und rubbelt.

Sie könnten so eine Scheibe abdrehen oder parallelschleifen, wenn die ungleiche Abnutzung nicht schon zu stark fortgeschritten ist. Bei starkem solchem Verschleiß lohnt sich das Schleifen/Abdrehen im Hinblick auf die verringerte Restdicke selten. Am besten drehen Sie Ihre Räder spätestens nach dem ersten, verdächtig frühen Bremsscheibentausch einmal an der Fühlerlehre entlang und messen den Seitenschlag. Das kostet selbst bei eigenem Werkzeugkauf nicht viel und die Daten sind sehr wertvoll, und sei es nur als Ausschlusskriterium.

Bremsscheiben abdrehen lassen lohnt sich meistens nur bei entsprechend teuren Sport-Bremsanlagen.

(Bild: Clemens Gleich)

Die Abhilfe ist hier außer einer neuen oder zurechtgeschliffenen Scheibe zusätzlich die Begradigung des Bremsscheibenlaufs, denn ohne die steht der neuen Scheibe das gleiche Schicksal bevor. Die einfachste Ursache sind stark ungleichmäßig angezogene Schrauben, die die Bremsscheibe aus der idealen Ebene ziehen oder Verschmutzungen bei der Montage. Nach Werkstattbuch (also meistens über Kreuz), mit den korrekten Anzugsdrehmomenten mit Schraubensicherung und Drehmomentschlüssel anziehen und dabei alle Teile penibel sauber halten kann also bereits helfen.

Teurer wird es, wenn das Rad insgesamt krumm läuft (der oben beschriebene KTM-Fehler). Hier müssen Sie, und ich sage das aus schmerzlicher Erfahrung, aufpassen, dass die Werkstatt nicht einfach die Aufnahme der Bremsscheibe neu abdreht (was fast jede Werkstatt kann). Wenn sie das tut, spannt sie das Rad über die krumme Achsfräsung ein und fräst die krumme Ebene einfach neu krumm nach, was nichts bringen kann. Nein, die Radlager müssen raus und die Aufnahmen gerade neu gefräst werden. Das kann fast keine Werkstatt, das Rad muss daher oft an diese Spezialwerkstätten verschickt werden. Bei mir hat das 200 Euro für eine Motorradfelge gekostet, was mir besser gefiel als 470 Euro für eine neue Felge.

Eine andere Ursache als ein per Messuhr einfach zu messender Seitenschlag ist schwieriger zu diagnostizieren: ungleichmäßige Scheiben-Materialstärke ohne Seitenschlag. Ich habe gelesen, das könne schon beim falschen Einbremsen passieren, wenn sich also noch kein zuverlässiger Materialübertrag bilden konnte. Ich bremse neue Scheiben immer ein. Am besten eignet sich hierzu natürlich eine abgesperrte Strecke oder ein großer Platz – irgendetwas, bei dem Sie nicht ungeplant mit heißer Bremsanlage anhalten müssen. Am schnellsten geht es in meiner Erfahrung auf der Rennstrecke, weil dort viel, unterschiedlich, aber zuverlässig ohne Stopp gebremst wird. Dabei bremse ich vorsichtig die erste Übertragsschicht auf dem Platz auf und fahre dann meine normalen Turns in stetig steigender Geschwindigkeit.

Frisch parallel neu eingeschliffene Bremsscheibe mit im schrägen Licht erkennbarer Schleifstruktur

(Bild: Clemens Gleich)

Eine andere Ursache kann in schlechtgängigen Bremskolben (und bei Schwimmsätteln: Bolzen oder Scharnieren) liegen. Hier können sich minimale Fertigungstoleranzen, die ansonsten unproblematisch wären, zu letztlich kaum mehr zu behebbarem Rubbeln aus ungleichmäßiger Abnutzung auswachsen. Bei ausgebauten Belägen sollten die Kolben bei (vorsichtiger!) Bremsbetätigung gleichmäßig herauskommen. Zur besseren Beobachtung den Kolben der anderen Fahrzeugseite blockieren. Kolben vor allem beim Motorrad vor dem Hereindrücken säubern, NICHT mit Dreck wieder reinquetschen.

Das Problem kann aber auch aus lockeren Radführungsteilen in der Gegend der Bremse kommen oder sogar aus einer zu großen Rad-Unwucht. Auch bei unterschiedlichen Dicken kann es sich bei teuren Scheiben lohnen, diese abzudrehen oder parallel neu einzuschleifen. Sie müssen jedoch trotzdem die komplette Bremsanlage wieder gängig machen und die Peripherie der Bremse reparieren, sonst passiert das a) nach einiger Zeit zuverlässig wieder und b) sind schwergängige oder gar blockierte Teile am Bremssattel bzw. lockere Radführungsteile potenziell lebensgefährlich.

Von-hinten-Ansicht des weit verbreiteten Festsattels Brembo M50. Die vier Kolben müssen sich unter beaufschlagtem Druck vom Geberzylinder gleichmäßig bewegen.

(Bild: Clemens Gleich)

Die in Gesprächen am häufigsten vorkommende Diagnose "Bremsscheibe verzogen" kam mir in der Praxis noch am seltensten unter. Bei diesem Problem verformt sich die Bremsscheibe unter enormer Hitzeeinwirkung so stark, dass sie leicht wellig wird (über die normale "Schirmung" hinaus, falls Sie die googlen möchten). In meiner Erfahrung kann man das kaum verpassen, weil das beim Bremsen regelrecht krachend klingt. Ich erinnere mich an den Test der Buell 1125 R auf einer heißen spanischen Rennstrecke mit einer sehr langen Start-Ziel-Geraden. Je nach Schwere des Fahrers krachte es am Ende dieser Geraden nach mehr oder weniger Runden so richtig im Gebälk und dann fuhr man in die Boxengasse, stellte das Ding zum Kühlen ab und fuhr mit einer anderen Testmaschine weiter.

Einfache Prophylaxe gegen festoxidierende Beläge: Nach Salzfahrten die Sättel mit kaltem (!) Wasser durchspülen.

(Bild: Clemens Gleich)

Ähnliches erlebte Kollege Sebastian Bauer beim Test des Mercedes-Benz SL in einer AMG-Ausstattung, die ihn zum Rasen verleitete (also nicht, dass man ihn da verleiten müsste). In beiden Fällen war das ein konstruktives Problem. Der Buell reichte ihre Einscheibenbremse auf der heißen Rennstrecke nicht (Rennteams bauten sie daher auf Doppelscheibe um); der SL war schlicht nicht für Sebastians Fahrstil gebaut. Die Scheiben beider Fahrzeuge kehrten beim Abkühlen in ihre gerade Form zurück und konnten normal weiter benutzt werden. In so einem Fall können Sie langsamer fahren oder die Bremse aufrüsten wie die Buell-Rennteams.

Bisher merkwürdigstes (und ungeklärtes) Problem: Nach dem Schleifen und Einbremsen erscheinen mehrere dieser Stellen, die auch rubbelten. Fertigungsfehler? Haarrisse durch krumme Felge mit Reibungsneuverschweißung? Die Fachleute waren ratlos, die Scheibe wurde sofort getauscht.

(Bild: Clemens Gleich)

So etwas kann jedoch auch passieren, wenn Sie mit den Belägen experimentieren. Dann wandert die Problemtemperatur nämlich manchmal durchaus in Bereiche, die im Alltag vorkommen, zum Beispiel meine stark abschüssige Autobahnabfahrt, bei der ich von Autobahntempo auf etwa 70 km/h für die Abfahrtskurve bremsen muss. Wenn so etwas beim Belagexperiment herauskommt, ist es gescheitert und Sie müssen zum nächsten Experiment übergehen oder zurück zum bekannt Bewährten. Falls Ihnen so etwas in vielen Fahrzeugen abseits der Rennstrecke passiert, liegt es oft an zu langem auf der Bremse herumstehen, was zur Akkumulation von Hitze führt. Lieber kürzer und stärker bremsen. Das sorgt dafür, dass die Bremsanlage die Hitze loswird, bevor sie zu Problemen führt.

(cgl)