Strategie zur Suizidprävention: Koordinierungsstelle und Suizidregister geplant

Das Gesundheitsministerium hat die nationale Strategie zur Suizidprävention vorgestellt. (Online-)Beratungsstellen vermissen die Unterstützung ihrer Angebote.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 62 Kommentare lesen
Depressiver Mann in einem Tunnel, an dessen Ende Licht ist

(Bild: hikrcn/Shutterstock.com)

Update
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat eine seit Jahren geforderte nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt. Sie sieht auch ein telefonisches und Online-Beratungsangebot für Angehörige und Fachkräfte vor. Die Möglichkeit zu anonymen Beratungsangeboten soll weiterhin bestehen bleiben, ebenso soll ein Suizidregister mit pseudonymisierten Daten aufgebaut werden. Darin will Lauterbach Suizide und auch Suizidversuche erfassen sowie möglichst viele Daten zu Risikofaktoren, um sich "Suiziden evidenzbasiert zu nähern".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

So könne man "Methoden und Hotspots, die typischerweise einem Wandel mit der Zeit unterworfen sind, frühzeitig" identifizieren. Oft ist laut BMG entscheidend, ob "Suizidgelegenheiten" vorhanden sind. In Ländern mit einer hohen Verfügbarkeit von Schusswaffen hatte es beispielsweise einen Effekt, den Zugang zu diesen zu beschränken. Ebenfalls hatte es einen Einfluss, Packungsgrößen von Schmerzmitteln zu verkleinern oder den Zugang zu häufig für einen Suizid genutzte Orte einzuschränken. Das Register soll zudem helfen, neue Risikogruppen schnell zu identifizieren.

Anzahl der Sterbefälle durch Suizid in Deutschland nach Altersgruppe in den Jahren 2012 bis 2022

(Bild: Statista mit Zahlen vom Statistischen Bundesamt)

Die Zahl der Suizide in Deutschland stagniert laut BMG seit etwa 2008 bei 9.000 bis 10.000 pro Jahr, allerdings stieg die Zahl der Suizide im Jahr 2022 um fast zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Hinter Suizidgedanken steht oft nicht das Gefühl 'Ich will nicht mehr leben', sondern eher 'Ich will so nicht mehr leben'", steht dazu in der Nationalen Suizidpräventionsstrategie. Diese zielt laut Bundesgesundheitsministerium darauf ab, das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid zu überwinden, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren und Hilfsangebote besser zu bündeln, um zielgenauere Hilfe und Vorbeugung zu ermöglichen.

Handlungsfelder der Nationalen Suizidpräventionsstrategie

(Bild: Bundesgesundheitsministerium)

Deutschlandweite Krisendienst-Notrufnummern sollen künftig für Menschen mit akuter Suizidalität rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Außerdem soll es eine Vernetzung und Koordination der Suizidprävention geben. Zu den Aufgaben der geplanten Koordinierungsstelle soll beispielsweise der Aufbau einer Website mit "vertieften Informationen zur Suizidprävention für betroffene Menschen, für Angehörige und für Fachkräfte" gehören, an der auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Nationale Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) beteiligt sind.

Details zur Struktur und Zusammensetzung der nationalen Koordinierungsstelle sowie die Finanzierung niedrigschwelliger Hilfen sind noch nicht geklärt. Laut Stellungnahme der NaSPro ist es dringlich, "dass die Finanzierung und Förderung der Suizidprävention in die Anfang Juni beginnenden Haushaltsberatungen für 2025 aufgenommen wird. Erster Schritt wäre die Etablierung einer bundesweiten Rufnummer und ein Bundesförderprogramm zur Entwicklung der Suizidprävention in Deutschland".

Auch die Telefonseelsorge Deutschland und das Online-Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche, Krisenchat, fordern die Bundesregierung auf, "das Unterstützungsangebot für Menschen in Lebenskrisen signifikant auszubauen und zu sichern". Wichtig sind demnach anonyme, kostenlose und niederschwellige Strukturen, um Suizide zu verhindern – entscheidend dabei "die kurzfristige Erreichbarkeit über alle vorhandenen Kommunikationswege". Die verfügbaren Angebote müssen Ratsuchenden den Kontakt erleichtern, sie dürfen keine zusätzliche technische oder psychologische Hemmschwelle darstellen", sagt Helmut Ellensohn, Vorsitzender der Telefonseelsorge Deutschland. Neben den genannten bieten auch die Nummern gegen Kummer, Jugendnotmail und Pausentaste Hilfe an.

2023 wurden bei 108.000 von rund einer Million Beratungsgesprächen der Telefonseelsorge Suizidgedanken oder -absichten geäußert. "Im Jahr 2023 hat Krisenchat knapp 3.500 Hilfesuchenden geholfen, die angaben, unter Suizidgedanken und Suizidkrisen zu leiden. Das sind fast 20 Prozent aller Hilfesuchenden bei Krisenchat", erklärt Krisenchat-Geschäftsführer Kai Lanz. In Einzelfällen melden sich bereits Achtjährige beim Krisenchat.

Die Tendenz der neuen Fälle, die sich mit suizidalen Gedanken und suizidalen Krisen an Krisenchat wenden, sei steigend. Viele Kinder und Jugendliche können laut Lanz aus Kapazitätsgründen nicht beraten werden. "Das gesamte psychosoziale Versorgungssystem ist überlastet", sagt Lanz. Daher fordern die Telefonseelsorge und Krisenchat Hilfen, um Beratungsangebote zu sichern und auszubauen.

Gleichzeitig sollen die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung auch wissenschaftlich evaluiert werden. Die bisherige Suizidforschung konnte bisher beispielsweise keinen Einfluss auf die Suizidrate durch die "seit Mitte der 1990er-Jahre stark gestiegene Verordnung von Antidepressiva" nachweisen. Große systematische Metaanalysen mit bis zu 87.500 Studienpatienten hätten gezeigt, dass Patienten, die in randomisierten und doppelblinden Medikamentenstudien ein Antidepressivum erhalten, mindestens so viele Suizidversuche und Suizide begehen wie die Studienteilnehmer mit Placebo, geht aus der Umsetzungsstrategie zur Suizidprävention in Deutschland hervor (PDF).

Hinweis: In Deutschland finden Sie Hilfe und Unterstützung bei Problemen aller Art, auch bei Fragen zu Mobbing und Suiziden, bei der telefonseelsorge.de und telefonisch unter 0800 1110111. Die Nummer gegen Kummer (Kinder- und Jugendtelefon) lautet 116 111. In Österreich gibt es ebenfalls kostenfreie Hilfsangebote, darunter speziell für Kinder der Kindernotruf unter 0800 567 567 sowie Rat auf Draht unter 147. Dieselbe Telefonnummer führt in der Schweiz zu Pro Juventute.

Update

Absatz zum Suizidregister und Rede des Bundesgesundheitsministers ergänzt.

(mack)