GIA: Telekommunikationsbranche läuft Sturm gegen geplante Gigabit-Verordnung

In seltener Einigkeit kritisiert die TK-Industrie den Stand der EU-Verhandlungen über den Gigabit Infrastructure Act. Der Breitbandausbau werde stark behindert.

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(Bild: bluebay/Shutterstock.com)

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Es kommt äußerst selten vor, dass alteingesessene Telekommunikationsriesen wie die Deutsche Telekom, Orange, Swisscom und Telefónica am gleichen Strang ziehen wie ihre mit der Liberalisierung des Marktes hinzugestoßenen Konkurrenten. Der Stand der Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament und dem Ministerrat zur geplanten Gigabit-Infrastrukturverordnung bringt aber schier die gesamte TK-Branche auf die Barrikaden.

So äußern der Netzbetreiberverband ETNO, die European Competitive Telecommunications Association (ECTA), der Gigabitverband GIGAEurope und die Mobilfunkbetreibervereinigung GSMA in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme gemeinsam "große Bedenken" hinsichtlich der laufenden Unterredungen. Die ungewöhnliche Ad-hoc-Allianz warnt vor "unbeabsichtigten Folgen, wenn Vorschläge in ihrer derzeitigen Form umgesetzt werden".

Ursprünglich habe die EU-Kommission mit ihrem Entwurf für einen Gigabit Infrastructure Act (GIA) das Ziel gehabt, "die Kosten und den Zeitaufwand für den Ausbau von 5G- und Gigabit-Netzwerken zu reduzieren", schreiben die Verbände. Angesichts einer nahen Einigung im sogenannten Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament sehen die Wirtschaftsvertreter nun die Gefahr, "dass daraus eine Maßnahme wird, die Telekommunikationsbetreiber benachteiligt", ohne einen wirklichen Nutzen im Sinne einer Entbürokratisierung zu bringen.

Schlüsselmaßnahmen, die zur Beschleunigung des Breitbandausbaus beitrügen, "werden nun in Frage gestellt", monieren die Verbände. Dazu gehörten "stillschweigende Genehmigungen": Anträge zum Netzausbau, die nicht innerhalb von vier Monaten beantwortet werden, sollten laut der Kommission als bewilligt gelten. Ferner würden "die historischen Bemühungen, EU-weit in 5G und Glasfaser zu investieren, durch Vorschläge einer aggressiven Preisregulierung auf wettbewerbsintensiven Märkten" innerhalb der Gemeinschaft konterkariert, ohne dass es eine Folgenabschätzung oder Hinweise auf Marktversagen gebe.

"Die Bereitstellung digitaler Netze ist nicht nur ein Anliegen von Telekommunikationsunternehmen", schlagen die Industrievertreter Alarm. "Sie sind entscheidend für den Wohlstand ganz Europas und bilden das Rückgrat einer modernen, effizienten und nachhaltigen Wirtschaft für die europäischen Bürger." Sofern der ursprüngliche Geist des Kommissionsvorschlags nicht gewahrt bleibe, wäre es besser, die aktuellen Regeln beizubehalten. Sonst hinterließen die EU-Gesetzgebungsgremien dem Sektor mit einer "schlecht durchdachten Verordnung" im Rahmen der auslaufenden Legislaturperiode "ein schädliches Erbe".

Auf die Palme bringt die Branche etwa, dass der Rat von der zunächst vorgesehenen Genehmigungsfiktion nichts wissen will. Die Abgeordneten drängen laut dem Portal Euractiv dagegen darauf, das Prinzip beizubehalten und so einen schnellen Netzwerkausbau zu gewährleisten. Der sich aktuell abzeichnende Kompromiss tendiert zum Standpunkt des Rates. Er sehe vor, dass die Mitgliedsstaaten vom Grundsatz der stillschweigenden Zustimmung im großen Stil abweichen könnten.

Eine weitere Idee besteht dem Bericht zufolge darin, dass die EU-Länder Verwaltungsbehörden, die auf Bauanträge nicht rechtzeitig antworten, dazu verdonnern könnten, den Antragsteller zu entschädigen. Auch der Gang vor Gericht wäre eröffnet. In beiden Fällen sollen die Mitgliedsstaaten Antragstellern die Einleitung eines Schiedsverfahrens ermöglichen. Der Rat habe damit breite Zugeständnisse gemacht. Den Volksvertretern reichten diese aber nicht aus. Sie befürchteten, dass dieser Ansatz die Fragmentierung der Gesetzgebung im Telekommunikationsbereich verstärken und dem eigentlichen Ziel der Verordnung widersprechen würde.

Die Parlamentarier sollen aber bereit sein, diese Kröte zu schlucken, um ihr Steckenpferd eines langfristigen Banns der Aufschläge auf Telekommunikationsdienste zwischen EU-Ländern durchzusetzen. Dabei geht es um Extra-Gebühren für Anrufe, SMS und Datennutzung aus der Heimat in andere Mitgliedsstaaten jenseits von Roaming im Mobilfunk. Die innergemeinschaftlichen Kommunikationszuschläge sind seit 2019 begrenzt. Das Limit für Gesprächszuschläge beträgt 0,19 Euro pro Minute. Diese Vorschrift läuft im Mai aus. Das EU-Parlament hat in seiner Position zum GIA daher gefordert, solche Aufschläge auf Dauer zu untersagen. Der Rat war zunächst dagegen. Ein Kompromiss könnte sein, eine Überprüfungsklausel sowie eine zeitliche Begrenzung einzuführen, um Missbrauch zu verhindern.

In den Reigen der Kritiker hat sich der Verband für Telekommunikation und Mehrwertdienste (VATM) eingereiht: Im Trilog zerren alle Seiten am GIA – "mit allergrößtem Schadenpotential für die Digitalisierung und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands". Die Genehmigungsfiktion sollte massive Bürokratiehürden überwinden helfen – und scheine nun vom Tisch. "Ganz fatal" wäre zudem die im Trilog geforderte "bedingungslose Öffnung gerade neu gebauter Netze". Keinesfalls dürfe es zum Wegfall des "wichtigsten Investitionsschutzmechanismus kommen". Bisher können Glasfaser ausbauende Unternehmen die Mitnutzung ihrer Infrastruktur unter bestimmten Bedingungen ablehnen, etwa wenn tragfähige Alternativen wie virtuelle Zugangsprodukte vorhanden sind. Der VATM sieht darin die einzige Möglichkeit, "wenigstens ein Minimum an Planungssicherheit für Investitionen in den Ausbau vor allem auf dem Land zu schaffen".

Eine Gefahr für bereits getätigte und künftige Anlagen in Glasfasernetze drohe, schlagen der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in einer gemeinsamen Position in die gleiche Kerbe. Die geplante Mitnutzung bestehender physischer Infrastrukturen könne für einen strategischen Überbau von Glasfasernetzen genutzt werden kann. Die Unterhändler sollten daher den Vorschlag des Rats für einen virtuellen Bitstromzugang als Alternative in die Verordnung aufnehmen – zu fairen und diskriminierungsfreien Bedingungen.

Der nächste und möglicherweise letzte Trilog wird am Montag stattfinden. "Wir sind auf der Zielgeraden", twitterte der parlamentarische Berichterstatter Alin Mituța jüngst. Schnelle 5G-Netze überall und der Wegfall der Zuschläge hätten für ihn Priorität.

(vbr)