Kommentar: Was wie Vanmoof nur an App und Cloud hängt, gehört Euch nicht

Die Pleite von Vanmoof zeigt die Kundenfeindlichkeit von Smartifizierung und Blitzscaling, findet unser Autor Nico Ernst.

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Ein großer Haufen kaputter Fahrräder

Neuerdings werden vielleicht sogar Fahrräder Elektroschrott - wenn der Server ausfällt.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Falls Sie nicht schon den Weg ins Forum zu diesem Artikel gefunden haben – herzlichen Glückwunsch. Sie gehören zu den Leuten, die nicht reflexartig ein Unternehmen verteidigen, weil Sie zu dessen Produkten eine emotionale Bindung aufgebaut haben. Beziehungsweise: Sich von Werbung, Firmen-PR und Influencern so lange haben weichkochen lassen, bis Sie alles, was an einem Gebrauchsgegenstand kritisch zu betrachten wäre, einfach wegwischen. Aktuelles Beispiel: der niederländische Fahrradhersteller Vanmoof.

Ein Kommentar von Nico Ernst

Nico Ernst schreibt seit über 20 Jahren über IT-Themen und gelegentlich auch über Musik. Hardware, Wirtschaft und Netzpolitik sind seine bevorzugten Themen. Da er mit ZX81, C64 und Atari VCS aufwuchs kann er sich auch einem gelegentlichen Spiel noch immer nicht entziehen.

Was steht da nicht alles in den Kommentaren: Etwa, dass das alles kein Problem sei, weil es doch eine App vom Dritthersteller gäbe, und man den Bluetooth-Key, den die App braucht, auch selbst mit einem Open-Source-Tool extrahieren könnte. Nur: Ist das für jemand, der einfach nur Rad fahren will, wirklich zumutbar? Die App stammt übrigens vom Vanmoof-Konkurrenten Cowboy, es ist keineswegs sicher, dass er sie dauerhaft kostenlos anbietet.

Wie unsere FAQ zur Pleite zeigt, ist zwar nicht unmittelbar zu befürchten, dass sich ein Vanmoof-Rad nicht mehr ohne App entsperren lässt. Doch die Komfortfunktionen, Firmware-Updates, die Ortung des Rades sind schlicht und einfach weg, wenn die Server doch irgendwann einmal abgeschaltet werden sollten. Sicher hätte man das alles vorher wissen können, denn was an einer App hängt, ist fast immer auch an eine Cloudanwendung gebunden, und die verursacht fortlaufende Kosten.

Solche Lösungen funktionieren also nicht ohne Vendor-Lock-In, also die dauerhafte Bindung an ein Unternehmen, die das Wechseln schwer macht. Vanmoof hat das auch durch proprietäre Bauteile immer weiter vorangetrieben. Von da ist der Schritt zu einem Abomodell, das nur gegen ständige Bezahlung Funktionen erlaubt, nicht weit. Das wird von manchen Unternehmen auch für bestehende Produkte gemacht, zum Beispiel bei Amazons "smarten" Türklingeln der Marke "Ring" samt Überwachungskamera und Alarmanlage. Neu verkaufte Geräte lassen sich seit März 2023 nur noch per Abo aus der Ferne ein- oder ausschalten – gerade für eine vernetzte Alarmanlage eigentlich eine Standardfunktion.

Solche Sperenzchen können sich vor allem Firmen erlauben, die im Bewusstsein der Kunden eine solche vermeintliche Größe und Relevanz erreicht haben, dass sie unverzichtbar scheinen. "Die sind pleite? Deren Werbung hängt doch überall, die müssen doch riesengroß sein!", sagte eine Bekannte, als sie von der Pleite von Vanmoof erfuhr. Ja, eben: Viel Werbung kostet viel Geld, gaukelt einen Scheinriesen und ein erfolgreiches Unternehmen vor. Tatsächlich war Vanmoof schon seit Jahren defizitär.

Die Investoren schossen bis vor Kurzem immer wieder Geld nach, weil es gerade bei Trendprodukten wie E-Bikes nicht mehr um gesundes Wachstum, sondern reinen Verdrängungswettbewerb geht. Dafür gibt es auch einen Namen: "Blitzscaling". Den hat der Mitbegründer von LinkedIn, Reid Hoffmann, in einem gleichnamigen Buch von 2018 geprägt. Die Idee dahinter: Man muss als Unternehmen so schnell wachsen, dass die Konkurrenz keine Chance hat. Das erinnert nicht zufällig an "Move fast and break things", das Facebook sich bis 2014 als internes Motto ausgegeben hatte. Heute werden dieser zerstörerischen Wachstumsstrategie neben den Infrastrukturen des Internets auch Alltagsgegenstände wie ein Fahrrad unterworfen.

Oder auch bald ein Kühlschrank. Denn LG will bis 2030 seinen Umsatz von derzeit 51 Milliarden US-Dollar auf 79 Milliarden steigern – vor allem mit Abomodellen. Die Rede ist da wörtlich vom "Zuhause als Service-Plattform". Und eigentlich ist der koreanische Anbieter da schon etwas spät dran, denn ein Abo für ein Küchengerät hat Vorwerk für seinen Thermomix bereits 2016 eingeführt. Der ist damit nicht nur eine Küchenmaschine, sondern eine finanzielle Melkmaschine für den Kunden.

Wer vermeiden möchte, auch bei Gebrauchsgegenständen ein Abo nach dem anderen abzuschließen, sollte sich immer wieder fragen: Brauche ich das wirklich? Und den Verkäufer fragen: Funktioniert das auch ohne App und Cloud? Im Zweifel dient die App- und Cloud-Anbindung viel mehr dem Unternehmen und nicht dem Kunden. Außerdem gilt: Firmen, die wie aus dem Nichts kommen und für sich den Anspruch erheben, ein bestehendes Produkt perfektioniert zu haben, sind kritisch zu betrachten.

Letztlich hat auch Vanmoof eben nur Fahrräder gebaut, die zwar viele recht schick fanden, und die auch praktische Funktionen wie das automatische Abschließen boten – aber unterm Strich eben doch nur Fahrräder. Viel mehr als damit fahren ist eben nicht drin, alles andere ist Hype und emotionale Markenbindung. Angeblich sollen sich ja manche Fahrräder nicht nur ohne App, sondern sogar ohne Strom bewegen lassen.

(nie)