Analyse: Flut von chinesischen Billig-E-Autos nicht in Sicht

Landauf, landab tönt es: Chinesische Hersteller werden die europäische Autoindustrie mit billigen E-Autos überrollen. Doch davon ist nichts zu sehen.​

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Ora Funky Cat

Chinesische Elektroautos erreichen auf Anhieb mitunter ein beachtliches Niveau. Wirklich billig sind sie aber zumindest bislang nicht.

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 6 Min.
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Wer automobile Nachrichten zumindest ein wenig verfolgt, kann dieser Tage der breit vorgetragenen These kaum entkommen: Das Ende der europäischen, insbesondere der deutschen Autohersteller ist nah, die Chinesen überrollen alles. Betrachtet der Medienkonsument die Zahlen, auch die prognostizierten, reibt er sich jedoch womöglich die Augen vor Verwunderung. Denn vor einer "Invasion chinesischer Billig-Elektroautos" ist nichts in Sicht.

Von Emmanuel Macron bis Ursula von der Leyen – zahlreiche Politiker beschwören das nahe Ende. Unterstützt werden sie beispielsweise vom Verband der deutschen Autoindustrie (VDA), der seine eigenen Motive verfolgt. Schließlich darf er hoffen, dass die Politik den gesellschaftlichen Teppich ausrollt, um den Steuerzahlern für eine großflächige Unterstützung ein weiteres Mal tief ins Portmonee zu langen. Arbeitsplätze, Schlüsselindustrie, Sie kennen die gängigen Buzzwords sicher. Das einem Lobbyverband vorzuwerfen, wäre nicht rechtens, denn er ist nicht für das Allgemeinwohl zuständig, sondern seinen Mitgliedern verpflichtet.

Auch die Motive von Emmanuel Macron sind nicht schwer zu durchschauen. Sollten, wie er es offenbar befürchtet, massenhaft billige Elektroautos aus China auf den europäischen Markt kommen, würde das den französischen Herstellern vermutlich schwer zu schaffen machen. Die sind andererseits in China kaum präsent. Eine Reaktion Chinas auf eine harte Protektion von europäischer Seite aus kann er, anders als die deutsche Industrie, vergleichsweise gelassen entgegensehen. Kurz gesagt: Protektionismus auf beiden Seiten schmerzt die französische Autoindustrie weniger als die chinesische.

Dass nun nach den Politikern auch noch einige Medien in diesem Sinne summen, verwundert dann aber doch. Ein schönes Beispiel für eine (unfreiwillig) schiefe Darstellung fand sich im ZDF heute journal vom 25. September. Verglichen wurden ein MG4 und ein VW ID.3, und der deutsche Hersteller bekam dabei mächtig eins auf den Hut. Nur wurde hier beim Vergleichen arg gemurkst: Nicht nur ist der Basispreis des MG4 keinesfalls gar so günstig wie beschrieben, sondern sind die beiden jeweils am wenigsten teuren Ausführungen auch schlecht zu vergleichen. Im billigsten MG4 sitzt eine LFP-Batterie, inklusive ihrer bekannten Nachteile im Winter, mit einem Energiegehalt von 51 kWh, im ID.3-Basismodell sind es 58 kWh. Wer den Chinesen auf dieses Niveau hebt, bekommt auch dort die technisch überlegene NMC-Batterie. Allerdings steigt der Preis damit auf 39.990 Euro. Nun gut, es sind noch fünf Euro weniger als im VW, der dafür allerdings einen Routenplaner mitbringt. Den hat der MG4 nur in der Luxury-Ausstattung.

Was man europäischen Herstellern durchaus vorwerfen könnte, ist die Abwesenheit von halbwegs günstigen Einstiegsmodellen. Hier gibt es einen Nachholbedarf, denn tatsächlich preiswert sind Modelle wie VW eUp, Renault Twingo E-Tech oder Opel Corsa Electric nun wirklich nicht. Selbst der dünnhäutige Dacia Spring kostet inzwischen fast 23.000 Euro, und das für ein Auto, das mit einem Verbrenner ausgestattet, mit 12.000 Euro gut bezahlt erschiene. Doch in einer Marktwirtschaft regelt sich der Preis vorrangig über die (gewünschte) Nachfrage. Offenbar passen die Absatzzahlen in das von den Herstellern anvisierte Fenster.

Noch etwas zeichnet sich ab: Wer auf dem europäischen Markt mittelfristig erfolgreich sein will, muss eine im Schnitt vergleichsweise anspruchsvolle Kundschaft befriedigen. Das betrifft Komfort und technische Eigenschaften gleichermaßen. Beides ist vielen chinesischen Herstellern ohne Weiteres zuzutrauen. Auch ein Desaster bei der Sicherheit, an der der Crashtest-Versager Landwind einst wachsweich scheiterte, ist von den chinesischen Anbietern nicht zu erwarten. Ein Anbieter, der in diesem Punkt Murks macht, könnte auf dem europäischen Markt augenblicklich seine Zelte abbrechen.

Nimmt man nun die durchschnittlichen, europäischen Erwartungen bei Qualität, Komfort und Reichweite und kombiniert sie mit den gesetzlichen Vorgaben bei Sicherheit und Emissionsvorschriften – die Abgasnorm Euro[ ]7 betrifft ja auch Elektroautos –, kündigen sich bislang ernst zu nehmende Konkurrenten aus China auf dem Markt an, aber keine Preisbrecher. Wer die Europäer massiv unterbieten will, muss aber an mindestens einer der vier Stellschrauben drehen.

Die geringeren Kosten für Energie und Arbeit in China können sich perspektivisch durchaus auf den Endkundenpreis auswirken, doch sensationelle Preise sollte da niemand erwarten. Auch die Chinesen werden sich am Markt orientieren. Wir erwarten, dass sie langfristig mit einem gegenüber den europäischen Herstellern etwas besseren Preis-Leistungs-Verhältnis glänzen. Warum sie diese in einer Marktwirtschaft grundlos massiv unterbieten sollten, erschließt sich nicht.

Die deutsche Autoindustrie macht im Reich der Mitte hervorragende Geschäfte und setzt zum Teil mehr als ein Drittel ihrer Gesamtproduktion allein dort ab. Von vergleichbaren Verhältnissen der Chinesen ist Europa derzeit weit entfernt. In zwei Jahren könnten es, so schätzen es Pessimisten in der EU-Kommission, bis zu 15 Prozent sein. Ein Untergang der gerade der deutschen Hersteller zeichnet sich da also nicht ab, eher etwas, das sie aufmerksam beobachten sollten – und selbstverständlich längst tun.

Die aktuellen Autos aus China sind eher nicht im preissensiblen Segment angesiedelt, die Chinesen versuchen also offenbar nicht, mit billigen Autos den Markt zu fluten. Stattdessen bieten sie aktuell mehrheitlich hochwertige Autos zu selbstbewussten Preisen, der (oder die?) Ora Funky Cat ist nur ein Beispiel dafür. Sie tasten sich also eher von oben herab. Für die europäische Autoindustrie ist das jedoch nicht unbedingt eine beruhigende Nachricht. Denn gerade die deutschen Hersteller waren bei besonders günstigen Autos nie Champions. Global erfolgreich waren sie trotzdem. Auch sie werden sich den neuen Wettbewerbern stellen müssen, wie zuvor schon den Gegnern aus Japan und Korea.

(mfz)