Evakuierung nach Plan

Eine am MIT entwickelte Software soll Leben retten und gleichzeitig Geld sparen, in dem sie die Planung von Hurrikan-Schutzmaßnahmen deutlich vereinfacht.

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Von
  • Brittany Sauser

Als sich der Hurrikan Ike der US-Golfküste näherte, mussten die lokalen Behörden und Notfallmanager schnell wichtige Entscheidungen treffen: Wann und wie sollten die Bewohner evakuiert werden und wann und wo waren Hilfsgüter notwendig? Ein guter Schutzplan kann Leben retten und Millionen einsparen helfen, doch die Unvorhersehbarkeit einer solchen Naturkatastrophe macht die Entscheidungsfindung schwierig. Ein Forscher am MIT testet deshalb nun eine Software, die Verantwortlichen bessere und genauere Lösungsvorschläge auf Basis großer Datenbestände geben soll.

"Ein Evakuationsplan ist sehr kompliziert", meint Ozlem Ergun, Co-Direktorin des "Research Center for Humanitarian Logistics" am Georgia Institute of Technology. "Wenn man sich ansieht, wie schlecht das alles 2005 beim Hurrikan Katrina in New Orleans lief, erscheint ein systematischer Ansatz umso wichtiger."

Um die Hurrikan-Schutzmaßnahmen zu koordinieren, müssen Notfallmanager in den USA auf vor Ort entstandene Evakuierungsspläne und Regeln setzen, die die Katastrophenschutzbehörde FEMA aufgestellt hat. Seit dem Skandal um Katrina wurden neue Planungsverfahren eingeführt. Die FEMA nutzt außerdem ein Computermodell, um abzuschätzen, wie lange es dauert, bis eine Stadt geräumt ist – ausgehend von der Bevölkerungszahl. Allerdings beherrscht das Modell derzeit keine Vorhersagn, wann oder wie am besten evakuiert wird.

Die neuen Maßnahmen scheinen zum Teil tatsächlich zu greifen. Beim Hurrikan Gustav musste ein Großteil des Südens Louisianas evakuiert werden – rund zwei Millionen Menschen. Das gelang in nur zweieinhalb Tagen. Der Prozess lief weitgehend rund, doch Ergun glaubt, dass dies auch daran lag, dass die Erinnerung an Katrina noch so wach ist.. "In fünf Jahren wird das den Leuten nicht mehr so bewusst sein. Dann warten sie wieder bis zur letzten Minute", meint sie.

Die neue MIT-Software könnte den Behörden helfen, humanitäre Katastrophen künftig zu vermeiden, weil sie auf unvorhergesehene Probleme aufmerksam machen kann. Sie kombiniert historische Hurrikan-Daten, aktuelle Wetterbedingungen und vorhergesagte Hurrikan-Bewegungen, um die am stärksten betroffenen Regionen zu ermitteln und ihnen Gefahrenwerte zuzuordnen. "Das Modell ist effizienter, weil es die Leute Schritt für Schritt evakuiert kann und damit Staus vermeidet", meint Michael Metzger, der die Software als Doktorand am Operations Research Center (ORC) des MIT entwickelt hat.

Das Planungswerkzeug ist außerdem flexibel und erlaubt es Notfallmanagern, die Geographie und die demographische Zusammensetzung der untersuchten Städte einzugeben. Letzterer Aspekt ist neu – er unterscheidet unter anderem zwischen alten Menschen, Touristen, Krankenhauspatienten und Familien mit Kindern, was die Evakuierungsplanung erheblich erleichtert. Außerdem werden die verfügbaren Routen stets einberechnet. Gibt es nur eine Autobahn, die aus einer Region herausführt, muss die Evakuierung über Tage verlaufen, damit es nicht zu einem Zusammenbruch kommt. Die Software kann so ihre Empfehlungen feinstufiger gliedern. Außerdem kann sie berechnen, wann es sinnvoll ist, Versorgungsgüter zu liefern, wann Notfallunterkünfte gebaut werden müssen und wann schlimmstenfalls die Nationalgarde gerufen werden sollte.

Metzger schrieb sein Werkzeug mit Hilfe der so genannten dynamischen Programmierung – ein Ansatz, der gerne dann verwendet wird, wenn Probleme zu lösen sind, die mit Unsicherheiten und sich verändernden Parametern einhergehen. "Alle möglichen Zukunftsentwicklungen, die eine Entscheidung hervorrufen kann, werden wenn möglich einkalkuliert. Dann bewegt die Software sich anhand der Zeitachse zum aktuellen Zeitpunkt zurück", erklärt der Entwickler. Richard Larson, Professor für Bau- und Umweltingenieurwesen am MIT und Metzgers Doktorvater, betont, dass sich die dynamische Programmierung bereits gut in der Praxis bewiesen habe. So werde sie beispielsweise von American Airlines verwendet, um Sitzplatzpreise zu ermitteln – und sogar von Football-Trainern, um in Echtzeit Strategieentscheidungen zu treffen.

Noch wurde Metzgers Software nicht mit echten Evakuierungsszenarien getestet. So kann der Forscher auch noch nicht sagen, wie viel Zeit und Geld wirklich eingespart werden könnte. Expertin Ergun hält die Technologie schon jetzt für sehr interessant.

Sobald alle Daten vorliegen, soll das Metzger-Modell nun mit den Entscheidungen der Behörden in den Fällen Ike und Gustav verglichen werden. Larson hofft, dass das bis Mai 2009 abgeschlossen sein wird. Dann könnte die Technik zumindest als Trainingswerkzeug für Notfallmanager verwendet werden. "Ähnlich wie Piloten Flugsimulatoren nutzen, hilft es Entscheidungsträgern immer, unterschiedliche Szenarien durchzugehen. Dann können sie besser Arbeit leisten, wenn es wirklich zum Ernstfall kommt." (bsc)