Fiat Tipo 1.6 E-torQ im Test

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München, 25. August 2016 – Mein erstes Auto war sieben, als ich es übernahm und roch innen bei Sonneneinstrahlung immer „wie neu“. Ich gestehe, eine gewisse Sympathie für solche Düfte zu haben, zumindest so lange, wie sie dezent bleiben. Der Fiat Tipo stellte dies im Test aber auf eine harte Probe. Eine Konzession an einen der preiswertesten Vertreter seiner Klasse? Der Tipo macht im Test an einigen Stellen deutlich, dass er nicht hauptsächlich für den verwöhnten deutschen Markt geschaffen wurde.

Fiat hat mit dem neuen Tipo einiges vor. Vom Produktionsstandort Türkei aus soll er in über 40 Länder exportiert werden. Dem Stufenheckmodell kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn anders als in Westeuropa ist diese Form in Osteuropa und Asien stärker gefragt als die ebenfalls schon gezeigten Schrägheck- und Kombi-Versionen.

Straff abgestimmt

Ein erster Rundgang offenbart schon, dass der Tipo auf schlechte Straßen vorbereitet wurde, seine Bodenfreiheit ist größer als bei anderen Modellen dieser Klasse üblich. Zusammen mit der Flankenhöhe der serienmäßigen Bereifung könnte da eine komfortable Abstimmung herauskommen – doch Fiat geht mit der Zeit. Der Testwagen hatte die optionalen 17-Zoll-Alufelgen, die mit 225/45 R17-Reifen von Pirelli bezogen waren. Diese Kombination ist von der Härte eines Seat Leon FR zwar weit entfernt, doch besonders rücksichtsvoll ist die Abstimmung des Tipo auch nicht. Sie liefert stets eine Zustandsbeschreibung des Untergrunds, was in dieser Präzision sicher nicht sein müsste. Zumal damit auch die gefühlte Rasanz nicht zunimmt. Wir vermuten, dass mit der weniger modischen 205/55 R16- oder 195/65 R15-Bereifung der preiswerteren Ausstattungslinien der Eindruck vom Fahrwerk ein angenehmerer wäre. Das Platzangebot in Innenraum und Kofferraum ist ausreichend, der Motor erstaunlich leise. Mit anderen Worten: Mit einer etwas weicheren Abstimmung ließe es sich mit dem Tipo ganz passabel reisen.

Gründlich lüften

An anderen Stellen sind Zugeständnisse an den vergleichsweise günstigen Preis unumgänglich. Die Verarbeitung ist insgesamt in Ordnung, es klapperte oder knirschte im Testwagen auch auf miesen Straßen nichts. Dass ein paar Nähte nicht hundertprozentig, sondern nur 98-prozentig gerade sind, sollte man einem Auto dieser Preis-Größe-Klasse ebenso wenig vorwerfen wie die einfachen Materialien. Sie waren es allerdings auch, die für einen morgendlichen Gang vor die Tür verantwortlich waren. Der Tipo roch so neu, dass ich ihn jeden Morgen gründlich lüftete. Besser wurde es während der 14 Tage mit der intensiv duftenden Kombination aus Kunst- und Klebstoff nicht. Dazu unterliegt auch Fiat dem Irrtum, dass glänzender Kunststoff die restliche Hartplastik-Landschaft irgendwie aufwerten würde. Tut sie nicht. Zum Glück haben sie die internen Controller für die beiden preiswerten Ausstattungen als zu teuer erachtet.

Der sehr gute Getränkehalter in der hinteren Mittelarmlehne ist in diesem Umfeld geradezu erstaunlich aufwendig gemacht. Wozu aber hat Fiat die vorderen Kopfstützen mit einer Höherverstellung versehen, bei der diese nur vier Zentimeter nach oben gerückt werden können? Mehr als ein Trost: Die Kopfstützen sind so dimensioniert, dass sie für große Menschen passen.

Offene Fragen

Im täglichen Gebrauch stellen sich einige Fragen. Die Momentanverbrauchsanzeige geht im Schubbetrieb nicht auf Null, sondern bleibt bei zwei Litern hängen. Im umfangreichen Menü des Kombiinstrumentes, in dem sogar eine Anzeige für die Öltemperatur versteckt ist, gibt es unter anderem die Option, sich Hinweise des Navigationssystems anzeigen zu lassen. Im Testwagen haben wir das allerdings nicht hinbekommen. Nach welcher Logik der Regensensor genau arbeitet, ist uns auch nach den in dieser Hinsicht geradezu idealen Testbedingungen der ersten Juni-Hälfte nicht ganz klar geworden.

Ein Eigenleben führt auch die Klimaautomatik. Manchmal, nicht immer, lässt sich die Automatikfunktion nicht ohne den Klimakompressor nutzen, obwohl innen wie außen beispielsweise 21 Grad herrschten. Bei der manuellen Luftverteilung lässt sich keine Kombination aus Scheiben- und Cockpitdüsen einstellen. Zudem vergisst die Anlage bei manchem Neustart ihre Einstellungen. Bei dieser Automatik scheint die manuelle Klimaanlage der einfachen Versionen keine schlechte Alternative zu sein – sondern klar die bessere Wahl.

Schwacher Motor

Zur preiswerten Variante raten wir auch beim Motor. Der 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner liefert 110 PS und 152 Nm. Letztere liegen allerdings erst bei 4500/min an. Diese Maschine gibt es im Tipo nur in Verbund mit der Wandlerautomatik AWF6F25 von Aisin. Die passen zwar gut zusammen, womit wir nicht sagen wollen, dass das Ergebnis überzeugt. Fiat verspricht, dass „charakteristisch für den Vierzylinder die Abgabe von Höchstleistung und maximalem Drehmoment schon bei sehr niedrigen Drehzahlen“ sei. Das klingt vielversprechend, doch der Motor ist recht schwach auf der Brust, was insbesondere im unteren Drehzahlbereich auffällt.

Den Entwicklern ist das trotz der vollmundigen Versprechen wohlbekannt, und so wurde die Schaltpunkte der Automatik dahingehend programmiert, dass stets ein vergleichsweise hohes Drehzahlniveau anliegt. Schon leichtes Beschleunigen verschiebt den Schaltpunkt mitunter auf über 4000/min. Auf diese Art wird zwar vermieden, dass der Tipo im unteren Teillastbetrieb beschleunigt, doch die Motor-Getriebe-Einheit wirkt so ziemlich unentspannt.

Laues Temperament

Zumal das Ausdrehen der Gänge am insgesamt lauen Temperament nur wenig ändert. Wo ein Opel Astra 1.0 oder ein VW Golf 1.2 TSI ohne große Mühe locker mitschwimmen, wirkt der Antriebsstrang des Tipo stets bemüht. Mit der manuellen Eingriffsmöglichkeit lässt sich etwas Ruhe erzwingen, wobei das Getriebe hin und wieder meint, es besser zu wissen. Subjektiv bleibt er er so von den genannten Konkurrenten weit entfernt. Erfreulicherweise bleibt das hohe Drehzahlniveau ohne große Lärmbelästigung. Zwar ist die Maschine stets zu hören, doch wirklich laut ist der Tipo bei normaler Fahrt nicht.

Hoher Verbrauch

Der vergleichsweise hohe Spritverbrauch zeigt die Grenzen der simpel aufgebauten Maschine. Insgesamt kamen wir auf 7,2 Liter, weniger als 6,3 waren es nie. Genau diese 6,3 Liter verspricht Fiat auch im NEFZ. Insgesamt muss man aber sagen, dass sich die aufwendigeren Motoren der Konkurrenz sparsamer bewegen lassen, auch wenn die Wandlerautomatik sicher ihren Teil zum Mehrverbrauch im Tipo beiträgt. Es ist der Preis eines möglichst einfachen Konzepts: Eine Nockenwelle, je ein Ein- und Auslassventil. „Highlights“ sind die Multipoint-Einspritzung und die ruhende Zündverteilung. Keine Aufladung, keine Ventilverstellung, keine variablen Ansaugwege – Einfachheit ist Trumpf.

Dem schließen wir uns mit zwei Empfehlungen an: Der Basisbenziner mit 95 PS ist, wenn man den Werksangaben Glauben schenken darf, kaum träger. Er entspricht dem Konzept eines einfachen und damit preiswertem Auto viel eher. Der Schritt vom Basismodell mit 95 PS zum 1.6 E-torQ ist finanziell ein sehr großer. Fast 4000 Euro verlangt Fiat für diese Ausführung mehr, wovon 1000 Euro auf die mittlere Ausstattungslinie Easy entfallen, deren Mehrwert überschaubar bleibt. Denn schon die Basisversion „Pop“ bietet mit Klimaanlage, Radio mit USB-Anschluss, Zentralverriegelung mit Fernbedienung und elektrischen Fensterhebern vorn alles wichtige ohne Aufpreis. Leider lässt sich diese Linie nicht mit dem 1.6 E-torQ kombinieren. Doch selbst dann wäre der Zuschlag mit fast 3000 Euro viel zu hoch, um den nominell stärkeren Motor irgendwie zu rechtfertigen. Was Fiat sich bei der eigenwilligen Kalkulation gedacht, wissen wir natürlich nicht. Wer den 1.6 E-torQ aber ernsthaft in Erwägung zieht, hat bei Verhandlungen mit dem Händler vermutlich mehr Chancen auf einen hohen Nachlass als beim Basismodell.

Kompromissbereitschaft gefragt

Wer sich auf eines der billigsten Autos dieser Klasse einlässt, muss zu Kompromissen bereit sein. Der Tipo ist nichts für Motoren-Gourmets, Infotainment-Fanatiker oder Armaturenbrett-Streichler. Wer aber einfach nur ein neues Auto mit viel Platz für wenig Geld sucht, könnte hier fündig werden. Viel Konkurrenz hat das Basismodell des Fiat Tipo derzeit jedenfalls nicht. Gerade auf Märkten, auf denen der Preis eine größere Rolle spielt als in Deutschland, wird der Tipo sicher seine Käufer finden. Und für diese Märkte ist er letztlich hauptsächlich gedacht.

Die Kosten für die Überführung wurden von Fiat übernommen, jene für Kraftstoff vom Autor.

Berichtigung, 8. September 2016

Wir sind von einem Leser auf einen Fehler hingewiesen worden. Entgegen der Werksangaben ist kein automatisiertes Schaltgetriebe eingebaut, sondern eine Wandlerautomatik. Der Text und unser Datenblatt wurden entsprechend korrigiert. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.